43. BMW Berlin Marathon 2016

Ein Marathon dauert 42,195km – so auch der 43. BMW Berlin Marathon 2016. Was als einfache Zahl recht nüchtern betrachtet hingenommen werden kann, löst im Kopf eines Marathonläufers (m/w) gleich einen ganzen Film mit Emotionen aus – denn es ist mehr als nur eine Kilometerangabe.

Meinen ersten Marathon bin ich im April 2016 in Zürich gelaufen. Es war irgendwie nur als eine Art „Qualifizierungslauf“ für den Berlin Marathon angedacht. Warum Qualifizierungslauf? Bekommt man den Startplatz nicht über einen anderen Weg zugesprochen? Doch natürlich! Und den Startplatz für Berlin hatte ich schon im Dezember 2015 in der Tasche. Zum Zeitpunkt der Registrierung hatte ich mir jedoch eine Laufzeit unter 3 Stunden zum Ziel gesetzt, was von erfahrenen Läufern mit leichtem Grinsen quittiert wurde, das ich zu diesem Zeitpunkt nicht so recht deuten konnte. Simon und Florian brachten es dann aber gut auf den Punkt: „vergiss beim Marathon in Berlin eine Zeit unter drei Stunden, wenn du zuvor noch nie einen Marathon gelaufen bist – die stecken dich ohne Referenzzeit in den letzten Startblock und dann darfst zehntausende Läufer im Slalom überholen.“ Mit über 40.000 Teilnehmern ist der Berlin Marathon einer der ganz großen Marathon-Events auf der Welt. Was also tun, wenn man an seinem Ziel festhalten möchte? Da bleibt für „Normalbürger“ nur die Variante, einen anderen Marathon zu laufen und die Zeit nach Berlin zu melden. So wird man dann je nach Ergebnis in einen Startblock weiter vorn eingeordnet. Zürich war da die ideale Ausgangssituation in Bezug auf Zeitpunkt und Location – erst den Halbmarathon in Freiburg Anfang April und dann drei Wochen später die Premiere in Zürich. Dass es dann gleich schon bei meinem ersten Marathon zu einer Finisherzeit unter 3 Stunden reichen sollte, war für mich völlig überraschend.

Team follow me beim Berlin Marathon

Glücksgefühle und Freude, aber auch Leiden und Schmerz – das sind die Schlagworte, die man immer wieder hört oder zu lesen bekommt. Doch was steckt dahinter? Über den Marathon in Zürich könnte man dazu auch schon eine Geschichte erzählen, aber hier geht es ja um Berlin.

43. BMW Berlin Marathon am 25.09.2016 – das Ziel: neue persönliche Bestzeit!

Die Sportsaison verlief bisher vielversprechend. Zwar bin ich das Jahr über nicht nur mit Laufschuhen unterwegs gewesen, aber durch den Sportmix bin ich nie dem Gefühl der Monotonie erlegen. Trainiert wird nicht nach fixem Plan, sondern die Lust und Laune geben den Takt vor. Glücklicherweise ist da kein Schweinehund zu überwinden, der einen ans Sofa fesselt. Vielmehr ist eher mal an die Vernunft zu appellieren, dem Körper die Ruhe zu geben, die es neben dem Training auch zur Leistungserhaltung und -steigerung braucht. Hört man seinem Körper zu, entwickelt man mit der Zeit ein Verständnis, bei dem man Signale des Körpers einzuordnen versteht. So auch zwei Wochen vor dem Start in Berlin: Erkältung – gar nicht gut. Die Schlussfolgerung: Sportpause und Ingwertee, gepaart mit der positiven Einstellung, dass es bis zum Wettkampf gut kommen würde. Die finale Abklärung beim Arzt ergab grünes Licht. Offen war nur, wie der Körper die Auszeit verkraften würde.

Was ein emotionaler Moment kurz vor Start! Es ist eine unbeschreibliche Atmosphäre auf der Startgeraden zu erleben – Gänsehautfeeling pur. Da werden vorab die Rollstuhlathleten und Handbiker auf die Strecke geschickt, Spitzenläufer vorgestellt und die Musik lässt einem den Puls auf Wettkampfniveau treiben. Ein über Videowall eingeblendeter Arzt mahnt zur Rücksicht: „Marathons gibt es viele – jeden Läufer aber nur einmal! Hört auf die Symptome eures Körpers.“ Um 9.15 Uhr erfolgt der Startschuss für die über 40.000 Läuferinnen und Läufer – und zugleich ist es auch der Start für eine Herausforderung, die man ganz allein mit sich und seinem Körper ausmacht.

Berlin Marathon

Berlin gilt durch sein flaches Profil und den Streckenverlauf durch die Stadt als schnelles Pflaster – nicht zufällig wurde hier vor zwei Jahren der gültige Marathon-Weltrekord aufgestellt. Zu Beginn heißt es also auf die Pace achten und die Körner gut einteilen, um nicht einzubrechen. Um auf meine persönliche Bestzeit zu laufen, musste sich mein Tempo auf 4,1 min/km einpendeln. Die ersten 5km war ich mit durchschnittlich 3min55s je Kilometer deutlich schneller unterwegs, was sich jedoch sehr gut anging. Atmung konstant ruhig und den Blick fokussiert, aber die Umgebung wahrnehmend – so durfte es weitergehen. Auch die weiteren 5km gestalteten sich identisch, so dass bei km10 eine Durchgangszeit von 39min08s auf der Uhr zu sehen war. Wow, bisher alles super! Ich hatte mein Wohlfühltempo gefunden. Die Halbmarathon-Durchgangszeit ließ mich etwas träumen: 1h22min45s. Schneller war ich bisher nur im Ziel beim Freiburg-Halbmarathon im Frühjahr – mit locker war dort allerdings rein gar nichts mehr. Im Vergleich zum Marathon in Zürich hatte sich ein Vorsprung von 3min ergeben. Das geht heute eindeutig in Richtung neuer Bestzeit – so dachte ich. Ein Marathon ist jedoch erst nach der doppelten Halbmarathon-Distanz zu Ende und daher heißt es dranbleiben.

Was mit einem guten Gefühl startet, kann sich urplötzlich völlig anders entwickeln. Worin man eine lehrerhafte Floskel vermutet, wurde für mich leider Wahrheit. Zunächst zeigte sich ab km23, dass ein Marathon nicht eben so locker leicht zu laufen ist. Die Beinmuskulatur verlangte vom Kopf einen kleinen Motivationsschub, da das Tempo etwas nachzulassen drohte. Es war jedoch kein „der-Mann-mit dem Hammer-Syndrom“, sondern vielmehr eine Phase der Rückbesinnung von Bestzeit-Träumerei auf „bleib fokussiert“. Ganz anders verhielt es sich jedoch irgendwo um die Kilometermarke 25. Ein Schmerz in der Brustgegend stellte sich ein, der mich auf die mahnenden Worte vor Marathonstart rückbesinnen ließ.

Berlin Marathon

Berlin Marathon

„Marathons gibt es viele – jeden Läufer aber nur einmal! Hört auf die Symptome eures Körpers.“

Insbesondere in Kombination mit der erst kurz vor knapp ausgestandenen Erkältung war es kein Symptom, das durch Ehrgeiz oder Motivation zu verdrängen ist. So wurde mir recht schnell klar, dass es nur zwei Möglichkeiten gibt: Rennausstieg, oder Tempo deutlich herunterfahren und die Wirkung analysieren. Die Entscheidung fiel auf Tempodrosselung. Da ich mich im Vorfeld des Rennens schon mit dem Szenario „Problem tritt auf“ beschäftigt hatte, rückte das Bestzeitziel ohne große Wehmut in den Hintergrund. Was zunächst noch in einer Laufgeschwindigkeit um die 5min/km erträglich war, ließ das Tempo gegen Ende auf über 6min/km drosseln. Natürlich nimmt man solch einen Rennverlauf nicht völlig emotionslos hin. Zunächst sind es die Mitstreiter, die man über eine lange Distanz immer im Auge hatte, welche einem dann in einer gefühlten Leichtigkeit enteilen. Recht schnell nimmt man dann Massen von Läufern wahr, die an einem vorbeiziehen. Schließlich verabschiedet man sich gedanklich vom Pacemaker mit dem 3h-Luftballon, der irgendwie auch eine magische Anziehungskraft verkörpert, dem sich die Gesundheit jedoch nicht unterordnen lässt. Und die ganze Zeit über sieht man jubelnde und feiernde Zuschauer, die dich ohne Kenntnis deiner körperlichen Verfassung pushen und mit Anfeuerungsrufen zum schnelleren Laufen motivieren versuchen – und du selbst sagst ihnen gedanklich: „Leute, ihr seid so genial – aber das hat so seinen Sinn mit dem Tempo.“

Nach einer gefühlten Ewigkeit tauchte dann irgendwann das Brandenburger Tor vor mir auf, welches auf der Zielgeraden zu durchlaufen war. Was von Läufern als sehr bewegender Moment beschrieben wird, war für mich einfach nur Erlösung: „hey, die letzten paar Meter und du hast es geschafft.“ Das Ziel erreichte ich in einer Laufzeit von 3h14min51s – eine Zeit, die mich zwar nicht zufrieden stimmt, aber auch nicht unglücklich macht. Zufrieden und glücklich bin ich jedoch darüber, dass ich mich Finisher des 43. BMW Berlin Marathon nennen kann und es gesundheitlich die richtige Entscheidung mit der Tempodrosselung war.

Simon war als Mitstreiter ebenso am Start. Leider musste er aufgrund muskulärer Probleme vor der 30er Kilometermarke aus dem Rennen aussteigen. So haben wir beide mit dem Berlin Marathon noch eine Rechnung offen. Mal schauen, wann es uns wieder dorthin an die Startlinie bringt. Ein erneuter Start ist grundsätzlich nicht ausgeschlossen. Jetzt heisst es jedoch erstmal Regeneration und den Herbst genießen.

Ronnie Weissenfeld

Berlin Marathon Team followmestore.de