Tested on trail – das SCOTT Genius 740 auf den Vinschgau-Trails

21.05.2013 unter: Bike

Es ist mittlerweile fast schon zu meinem Ritual geworden, im Mai Richtung Südtirol zu fahren. Einmal infiziert, hat mich der Vinschgau-Virus seither nicht mehr losgelassen. Im Gegenteil – von Jahr zu Jahr lerne ich die sonnenreiche und regenarme Region in Grenznähe zur Schweiz und Österreich mehr zu schätzen. Woran das liegt? Sicherlich an den abwechslungsreichen Tourenmöglichkeiten entlang der künstlichen Bewässerungskanäle, die einem den ultimativen Trailsurf-Flow ermöglichen, und an den Gipfelbiketouren – aber auch am Leben an sich. Coole Leute, leckeres Essen, mediterranes Klima, und und und… Kurz gesagt: DOLCE VITA mit Bike!

Dieses Jahr habe ich mich dazu entschieden, ein trailtaugliches Fully mit ordentlich Federweg bei Follow Me zu leihen, um dies einem ausgiebigen Praxistest zu unterziehen. Nach wie vor spiele ich ja mit dem Gedanken, neben meinem 29er Race-Hardtail ein Bike für’s Grobe in den privaten Fuhrpark aufzunehmen – es wäre wohl die perfekte Ergänzung… ;-)

Die Wahl fiel auf das SCOTT Genius 740 in der Rahmengröße M (die technischen Daten siehe hier). Zusätzlich zur Serienausstattung bekam es vor dem Trip Shimano XT Trail Pedale montiert, um gut gerüstet gen Südtirol zu düsen.

Das von Südtirolbike aufgestellte Wochenprogramm versprach Vielseitigkeit: Vinschger Freeride Day am Samstag, Gipfelbiketour auf die Spitzige Lun am Sonntag, Trailtouren unter der Woche mit wohlklingenden Namen wie „Prader Trailzauber“, „Calvenschlacht“ oder „Obervinschger Trailzauber“ – es sollte mal wieder eine spannende Woche werden.

Am Vinschger Freeride Day (mit Shuttle-Unterstützung für die Höhenmeter) konnte das Bike gleich mal zeigen, wie komfortabel es die flowigen Bergabstrecken mit teilweise verblockten Abschnitten meistert. Also Sattel runter und ab ins Vergnügen… Das Bike vermittelt auf dem Trail und in Geröllpassagen viel Sicherheit. Die 150mm Federweg vorne und hinten schlucken Unebenheiten gut weg und die 27,5“-Laufräder lassen das Bike sehr laufruhig agieren. Man hat stets das Gefühl, selbst die Kontrolle über das Bike zu haben – eine wichtige Voraussetzung für viel Trailspaß. In Grenzregionen konnte ich das Bike an meinem ersten „Testtag“ nicht bringen. Einzig die frisch gereinigten Bremsscheiben benötigten eine gewisse Eingewöhnung, bis die Bremsen ihren vollen Biss erbrachten und ich mich vollends dem Fahrspaß widmen konnte. Viel Zeit war jedoch nicht erforderlich, um die Bremse auf Betriebstemperatur zu bringen. Am Ende des Tages standen ca. 3.000 Tiefenmeter zu Buche – bei gerade mal 300 selbst erbrachten Höhenmetern… ;-)  

Immer nur bergab ist für die meisten Biker allerdings nicht ausreichend. Zudem steht nicht immer ein Shuttle bereit, um einem die Höhenmeter vollends abzunehmen. Also muss das Bike auch in seiner Bergauf-Performance gute Leistung erbringen, um vielseitigen Fahrspaß zu ermöglichen. Die Gipfelbiketour auf die Spitzige Lun – dem Hausberg von Mals mit 2.324 Metern Höhe – sollte dafür das geeignete Testumfeld bieten. Die ersten Kilometer verliefen über eine gut ausgebaute Asphaltstraße mit durchgehender Steigung im teilweise zweistelligen Prozentbereich. Etwas skeptisch aufgrund der Hardtail-Erfahrung wollte ich hier verstärkt auf das Wippverhalten achten. Doch von Wippverhalten war nahezu nichts zu spüren – der Hinterbau entpuppte sich für ein Fully als relativ antriebsneutral, wenn man sich den Blockiermodus des am Lenker montierten Twinloc-Hebels zu Nutze macht. Natürlich verhält sich das Bike aufgrund des höheren Gewichts im Vergleich zu meinem Hardtail etwas träger bergauf – aber spätestens oben am Gipfelkreuz sollte dieser kleine Nachteil keine Bedeutung mehr haben. Ab dort zählen andere Werte, die ich ja bereits am Vortag ausgiebig testen und genießen durfte – und die Abfahrt mit ca. 1.400 Tiefenmeter war wahrlich ein Genuss…

Direktvergleich 26 Zoll vs. 27,5 Zoll (bzw. 650B):
Da Local Toby sehnsüchtig auf sein neues Arbeitsgerät der Größe 27,5 Zoll wartet, nutzten wir einen mir bereits bekannten Trail als Gelegenheit zum Biketausch. Den darauffolgenden Trail surften wir wieder mit dem eigenen Material – eine ideale Bewertungsgrundlage! Im direkten Vergleich mit seinem 26 Zoll Fully entpuppte sich das 27,5er SCOTT Genius als nicht ganz so verspielt, da es in Bezug auf die Wendigkeit vom Gefühl her etwas das Nachsehen hatte. Dieses Verhalten ist jedoch auf den flowigen Vinschgau-Trails vernachlässigbar, da es hier nicht so sehr auf die ultraschnellen Richtungswechsel ankommt und man eher langgezogene Kurven fährt. Es sei denn, man stößt auf eine Spitzkehre…

Die Vinschger Trails bieten neben flowigem Fahrspaß ein großes Highlight zuhauf: Spitzkehren deluxe! Genau diese wurden mir im Vorfeld als schwere Kost für das 27,5er Fully SCOTT Genius 740 beschrieben. Beschreibungen anderer oder Testergebnisse aus Magazinen sind aber nie so gut, wie die eigene Erfahrung – also ab dafür in den Selbstversuch… Wir lieferten uns die Tage eine wahre Spitzkehrenschlacht! Von einfachen, flach verlaufenden Spitzkehren mit genügend Auslaufbereich, über steile Vertreter mit leichten Überhängen bis hin zu stufigen, nach aussen abfallenden Spitzkehren mit Null Spielraum war alles dabei, was man sich unter dem Wort Spitzkehre vorstellen vermag. Ein echter Härtetest für Bike und die eigene Fahrtechnik! Und das Fazit? Sehr laufruhig auf Trails, erfordert das SCOTT Genius 740 etwas Fingerspitzengefühl beim Fahren von Spitzkehren. Es ist allerdings nicht so, dass es im Vergleich zu anderen Bikes deutlich schlechter im Handling dieser Vinschgau-Spezialität ist. Erstaunlicherweise konnte ich mit dem Genius 740 einige Spitzkehren flüssig fahren, vor denen ich die letzten Jahre noch den Hut geschmissen hätte – der verbesserten Fahrtechnik und dem sicheren Bikegefühl sei Dank!

Das Fazit der Testwoche:
Das SCOTT Genius 740 war wohl genau das richtige Spaßgerät für meinen Vinschgautrip! Flowiges Trailsurfen, genügend Federweg, gute Bergauf-Eigenschaften – die Positiv-Liste könnte noch weiter fortgeführt werden. Einzig eine versenkbare, vom Lenker aus bedienbare Sattelstütze wurde vermisst, um dem Bike eine Bestnote zu verpassen. Aber allzu schlimm ist dieses Manko nicht – schließlich ist diese ja auch nachrüstbar… :-)

PS: zu den montierten Shimano-Pedalen XT Trail gibt’s auch nur Positives zu berichten. Zusammen mit meinen neuen Northwave Dolomites 5/8, welche sich als richtig gute Allrounder für ausgiebige Alpentouren entpuppten, die für mich ideale Kombination an einem All Mountain Fully…